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Von: Christian Doepgen


Artikel Nummer: 42152

Geschlossener Sicherheits-Kreislauf

«Es ist viel sicherer, zu wenig als zu viel zu wissen.» Samuel Butler (1835-1902), britischer Schriftsteller, Komponist und Maler




Das Bedürfnis nach Absicherung ist ein wachsendes Leitmotiv unserer Tage. Es begegnet uns unter Menschen im Büro, in der Familie und in uns selbst. Ich halte es für einen der interessantesten Fehler des postmodernen Menschen und bin mit Jeff Taylor einig, dass ein übertriebenes Bedürfnis nach Sicherheit viel Kreativität kostet: «Ausgetretene Pfade sind die sichersten, aber es herrscht viel Verkehr.»

Dieses Bedürfnis setzt allerdings meist früh ein. Ob es die mangelnde finanzielle Ausstattung der Familie war, in der wir aufwuchsen, oder das Gefühl von Angst und Vorsicht, das Krankheiten, Krisen oder die Persönlichkeit eines Familienmitglieds vermittelten – das Damoklesschwert über dem Alltag schütteln wir später nur schwer ab. Schliesslich erlebt mancher von uns ständig die Missachtung seines Bedürfnisses nach Sicherheit und Kontrolle und überkompensiert am Ende seine grundlegende Angst.

Das Ergebnis ist häufig das Leben mit Netz und doppeltem Boden unter den Füssen, was bedeutet, immer den sichersten Weg zu wählen, möglichst viele Versicherungen abzuschliessen und bloss kein Risiko einzugehen. Wer von uns hat solche Menschen noch nicht erlebt? Sei es die Mutter, die drei Mal vor der Abfahrt aus dem Auto stürzt, um zu überprüfen, ob der Herd wirklich ausgeschaltet ist; sei es der Kollege, der auf seinem Schreibtisch Stifte, Visitenkarten, ja Notizen in geometrischer Form anordnet; oder der Nachbar, der jedes Wochenende seinen blütenweissen Balkon kräftig «kärchern» muss.

Nun lassen sich diese zwanghaften Verhaltensweisen gern als liebenswürdige Spleens abtun. Zum Teil erfüllen sie sogar eine wichtige Funktion. Es ist z.B. möglich, sich in einer Stress-Situation mit motorischen oder vokalen «Aussetzern» – Grimassen, übertriebenem Lachen oder Selbstgesprächen – zu beruhigen. Die Soziologen sehen in solchen «Übersprungshandlungen» die gleiche Sicherheit, die jedes gewohnte Ritual vermittelt und somit Spannung abbaut. Ein bisschen verrückt sind wir schliesslich alle.


Schwierig wird es allerdings, wenn wir beginnen, unsere lieb gewonnenen Marotten zu kultivieren und zu einem festen Muster anzuordnen. Irgendwann können wir dann aus lauter Furcht vor dem, was passieren könnte, nicht mehr frei entscheiden bzw. die Marotte kontrolliert uns selbst statt wir sie. Dieses Streben nach Sicherheit kostet somit die Leichtigkeit des Seins. Gegen solche Zwänge war ich immer für den mahnenden Leitsatz dankbar, der es an die Kantinenwand in dem Betrieb gebracht hatte, in dem ich mein erstes Praktikum absolviert habe: «Wenn Du niemals handelst, weil Du Angst hast, den falschen Moment zu erwischen, dann verpasst Du garantiert den richtigen.»

Ganz sicher ist das Bedürfnis nach Sicherheit natürlich. Auch Luther hat in seinen 95 Thesen das Paradies oder den vollkommenen Glauben mit dem lateinischen Wort Securitas wiedergegeben. Problematisch ist einzig die Übertreibung in einem sich ewig drehenden Kreislauf, so nach den Worten des Philosophen Peter Sloterdijk: «Wird alles der Sicherheit untergeordnet, ist die Freiheit eindeutig das Opfer.»

Es gibt aber immerhin für spleenige Persönlichkeiten Hoffnung. Der schottische Psychiater David Weeks befand nach zehnjähriger Untersuchungszeit an über 1000 ausgewiesenen Exzentrikern im Jahr 1995, dass es Menschen auch mit vielen Marotten besser ginge als ohne. So seien sie weniger häufig psychisch krank oder drogenabhängig und hätten ein ausgesprochen gutes Immunsystem.

Ob die Sicherheitsfanatiker auch dazugehören, weiss ich nicht.



 

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