Die Freude an der Ausschweifung
«Wer nicht geniesst, ist ungeniessbar.» Arno Plack (1930 - 2012), deutscher Philosoph und Schriftsteller
Wie ich zum Luxusgirl wurde, erinnere ich noch genau. Als Studentin hatte ich bei einem Preisausschreiben gewonnen – einen Abend mit Champagner und Austern im Hamburger 5-Sterne-Hotel Vier Jahreszeiten. Es gab nur ein Problem: Ich mochte gar keine Austern. Zum Champagner, den ich auch damals schon zu schätzen wusste, gab es aber nichts anderes ausser eben Austern. Zögerlich probierte ich also – und ab der dritten Auster war ich auf den Geschmack gekommen.
Es wurde ein toller Abend. Ich ass dutzende Austern und trank literweise Champagner – und das ist nicht übertrieben. Währenddessen parlierte ich angeregt mit Prince Alain vom Gut Pommery, da er nur Französisch sprach und ich die Einzige war, die das auch konnte. Noch Tage später war ich beeindruckt, im schönsten Grandhotel der Stadt einen solchen Sinnesrausch erlebt zu haben.
Ob dieses Erlebnis wirklich so stattgefunden hat, oder ganz oder teilweise meiner Phantasie entsprungen ist, dürfen Sie selbst entscheiden. Das macht mich beim Schreiben nämlich etwas freier. Schliesslich wirft solcher Überfluss immer auch Fragen auf wie: Bis zu welchem Grad werden Ausschweifungen noch toleriert und wann wird die Grenze des guten Geschmacks überschritten? Der Satz von Oscar Wilde, «man versehe mich mit Luxus, auf alles Notwendige kann ich verzichten», jedenfalls hinterlässt ob der Dekadenz bei mir eher einen schalen Nachgeschmack.
Als Kind war das noch anders: Da träumte ich ganz unbedarft von einem Bad in Gold-talern aus Schokolade. Anders als viele meiner Freundinnen interessierte mich Dagobert Duck nämlich viel mehr als Donald. Und vielleicht war es deshalb auch gar nicht überraschend, dass gerade ich vor vielen Jahren einen bekannteren Anwalt in einer Hamburger Bar traf. Jemand erzählte ihm, dass ich – kurz nach der Insolvenz meines damaligen Arbeitgebers – einen Job bräuchte. Und er suchte tatsächlich jemand.
Neben einiger juristischer Arbeit bräuchte er ein Mädchen für alles, sagte er mir. Und dann fiel der Satz, den ich wohl nie vergessen werde: «Wenn ich morgens im Morgenmantel die Treppe in mein Wohnzimmer herunterkomme, möchte ich, dass die Nachrichtenlage bereits analysiert und ausgewertet ist. Und wenn ich meiner Frau auf dem Rollfeld des John F. Kennedy Airports in New York in drei Tagen einen himmelblauen VW-Käfer mit pinker Schleife schenken möchte, müsstest du das auch organisieren.» Ob er das ernst meinte? Mein Eindruck war, dass er jedenfalls seine Wünsche für keineswegs übertrieben hielt.
Der Hedonismus hat in Europa sicher schon mehr Wertschätzung oder auch Spott erfahren als derzeit: Man nehme nur die Wortschöpfung Toskana-Fraktion, wie in den 1990er Jahren einige der SPD-Politiker rund um späteren Kanzler Gerhard Schröder bezeichnet wurden. Und immer habe ich mich dabei gefragt, warum auch ich meine nördliche europäische Heimat als weniger lustfreundlich wahrgenommen habe als den Mittelmeerraum.
«Es ist etwas pauschal, aber im Katholizismus ist der Genuss stärker vertreten», sagt der Koch Vincent Klink. Ob das mit der Beichte zu tun hat, die ja Sünden bedingt? Und stimmt es nicht auch, dass Genuss und Sünde manchmal zusammenfallen? So sieht es jedenfalls Robert Pfaller, Professor für Philosophie an der Universität Linz. Er meint: «Genuss, der verzichtet, ist keiner. Der Genuss beinhaltet auch immer etwas Ungutes, vielleicht Gesundheitsschädliches. Einen Kater, Ansteckungsgefahr oder Cholesterin.»
Goethe befand: «Kein Genuss ist vorübergehend; denn der Eindruck, den er zurücklässt, ist bleibend.»